By on Mai 11, 2017

Hier auf den Almen bekommt der Begriff Zeit eine ganz andere Bedeutung. Nicht nur vergeht sie hier viel langsamer, man wird auch in eine ganz andere Zeit versetzt.

Ich fühle mich in meiner Holzvilla mitten auf der Egger Alm schon ganz wie Zuhause, also wie Zuhause vor ein paar hundert Jahren. Und so habe ich die heutige Wanderung zur Stage #19 genützt, um mir ein bisschen Gedanken über die Errungenschaften der heutigen Zeit zu machen. Das heutige Leben wird durch die Erfindungen bestimmt und umgekehrt – ein Teufelskreislauf. Durch die Neuerungen wird alles schneller, und weil alles schneller wird, brauchen wir Neuerungen, damit wir mit der Schnelligkeit zurecht kommen. Hat man das alles nicht, wird man automatisch langsamer.

Plumpsklo

Na gut, nicht immer wird man langsamer. Ich kann mir kaum jemanden vorstellen, der auf einem Plumpsklo Zeitung liest. Da heißt es, eher schnell rein, Geschäft erledigen und schnell wieder raus. Im Sommer muss es noch viel schlimmer sein. Kein Wunder, dass Plumpsklos immer draussen sind.

→ Klospülung ist definitiv eine gute Errungenschaft.

Morgengemütlichkeit

Das ist aber ein gutes Beispiel für die Verlangsamung des Tagesablaufs. Während man zuhause gehetzt sich schnell die Zähne putzt und die Morgenwäsche erledigt und sich womöglich erst im Bus oder Auto dann schminkt, muss man sich hier auf die Morgenwäsche vorbereiten. Zuerst muss der Omaofen angeheizt werden, damit auch warmes Wasser da ist. Das geht zwar eigentlich eh ganz schnell, aber es spricht nichts dagegen, sich dann doch noch für ein halbes Stündchen unter die warme Decke zu kuscheln und dem Wasser genug Zeit zu geben, wirklich warm zu werden. Und dann steht man vor der ersten Herausforderung des Tages, für deren Lösung man sich genug Zeit lassen muss:

Man nehme einen Kübel mit Brunnenwasser, einen Topf mit heißem Wasser, einen Becher zum Befördern des Wasser von Kübel in Topf und eine Schüssel, die noch leer ist. Das stellt quasi mein Badezimmer dar. Was jetzt?

Ich weiß noch, wie ich in England, wo ich mit Cose Sprachferien verbrachte, überfordert war, als ich dort mit zwei getrennten Wasserhähnen zu tun hatte. Wie wäscht man sich da das Gesicht, ohne das man sich Hände oder Gesicht verbrennt?

Hier habe ich nun gar keine Hähne. Verbrennungen mit heißem Wasser entgegen zu wirken ist nicht schwer, man mischt Kaltes dazu, quasi ein Mischer im Topf. Aber folgende Situation: man hat sich das Gesicht naß gemacht und mit Seife eingeseift, jetzt sind die Hände seifig und man will nicht ins saubere Wasser mit den seifigen Händen greifen, denn dann ist es ja nicht mehr sauber. Wie bekomme ich also mein Gesicht seifenfrei?

Ich habe jetzt mal mit Becher und einer weiteren Schüssel gearbeitet, bin aber nicht ganz glücklich mit der Lösung. Irgendwie müssen das ja die Leute gemacht haben. Oder doch einfach mal mit einer Runde warmen seifigen Wasser gewaschen und dann mit einer zweiten Runde sauberes, warmes Wasser, hmmm?

→ Also Wasserhähne und Mischbatterie sind definitiv auch eine gute Errungenschaft, wir oder ich muss nur lernen uns trotzdem in der Früh Zeit für die Morgenwäsche zu nehmen und nicht da gleich mit der Hetzerei anfangen.

Knisternde Wärme aus dem Ofen

Ich war immer schon der Holzofeneinheiztyp. Klar ist es praktisch einen Thermostat zu haben und immer ein kontinuierlich warmes Zuhause. Aber nichts ersetzt die knisternde Wärme aus einem Holzofen und auch nicht den geräucherten Geruch von Gewand, Hund und allem … letzterem kann man mit ein bisschen Übung und viel Lüften aber sicher entgegen wirken. Auch hier ist aber der Zeitfaktor die entscheidende Konstante. Man muss sich Zeit zum Einheizen nehmen, Zeit zum Holzhacken – bekommt hier aber gleichzeitig ein Workout und eine Möglichkeit sich abzureagieren, Zeit zum Ofenputzen – an dem gibt es glaube ich nichts Positives … dafür bekommt man ganz kostbare Zeit, in der man sich vor einen knisternden Kamin setzen und in die flackernden Flammen schauen kann … niemand setzt sich vor einen Heizkörper und schaut den Rillen zu.

Es ist eigentlich sehr interessant, dass etwas so gefährliches wie Feuer, uns so viel Geborgenheit geben kann.

Aber auch Unruhe … meine heutige Wanderung habe ich auf zwei Etappen aufgeteilt. Zuerst die Pflicht, also rauf zur Stage. Dann wollte ich hier noch einen Multi machen, der im Dorf begann. Nachdem ich die ersten Variablen geholt habe und weil es draussen echt ungemütlich war, verzog ich mich in meine warme Holzvilla zum Berechnen der weiteren Stages. Als ich mir wieder die Jacke anzog, um die Dose zu holen, verkroch sich Vaishavi unter den Tisch. Alles klar, ich habe verstanden … sie will nicht mehr mit raus. Also nur mit Würmchen die weiteren 4,5km abgegangen. Den Ofen habe ich vorher noch gscheit mit Holz befüllt, damit es nachher auch noch kuschelig warm ist … und da kamen bald die Sorgen. Was ist wenn irgendwas mit dem Ofen ist und Pups ist eingesperrt und ….? Pff .. wir waren echt schnell unterwegs.

Flackerndes Licht von der Kerze

Kerzenlicht ist zwar romantisch, aber eigentlich kann ich dem nichts abgewinnen. Ich glaube, der Sinn von Kerzenlicht war, mit der untergehenden Sonne schlafen zu gehen und mit der aufgehenden Sonne aufzustehen. Für mich als Nachtmenschen ist das nix. Ich hab gestern ziemlich gekämpft, da alles so finster war und musste sogar Tom bitten, die Fotos zu kontrollieren, ob sie eh scharf sind, hat man nämlich hier nicht so wirklich erkannt. Kerzen klauen einem auch noch die Luft und wenn man nicht genug lüftet, bekommt man Kopfschmerzen, wenn man genug lüftet wird es wieder kalt und man muss mehr einheizen, wieder weniger Luft, wieder ….

Also wenn Kerzen, dann nur bei einem romantischen Candle Light Dinner, optimalerweise in einer lauen Sommernacht irgendwo auf einer Terrasse mit schönem Ausblick, dann hat man auch das Luftproblem gelöst. 🙂

→ Da hat sich Goebel, oder war es doch Edison,  schon was Gutes einfallen lassen … auf das möchte ich nicht verzichten.

Ihr seht schon, es kommt nur wirres Zeugs raus, wenn ich anfange nachzudenken. 😉

Jetzt geh ich dann die nächste geniale Erfindung nützen, auf die ich kurzfristig schon, aber auf Dauer nicht verzichten möchte, nämlich die heiße Dusche und widme mich ganz anderen Gedanken, denn mein Besuch ist unterwegs.

Ich freue mich irrsinnig auf meine Familie und vor allem auf Tom. Wir haben uns jetzt 2,5 Wochen nicht gesehen. Ist jetzt nicht lang, aber trotzdem viel länger als sonst. Ich vermisse ihn sehr und mich quälen aktuell Fragen wie:

  • Wird er sich in meiner chaotischen Holzvilla hier so wohl fühlen, wie ich?
  • Wie wird das Wiedersehen sein?
  • Aber viel schwieriger, wie wird der Abschied am Sonntag dann sein?
  • Werde ich es schaffen, ihn wieder gehen zu lassen?
  • Werde ich es schaffen, zu bleiben?
  • Oder wird alles wieder so aufgabenreich sein, dass diese Gedanken gar keine Zeit haben werden, wie es bei uns oft so ist?

Wir werden sehen. Jetzt genieße ich aber mal drei Tage in Begleitung und freue mich schon endlich auf diese Frigga …. auch wenn ich ein bisschen Angst davor hab.

Tagesstatistik
zurückgelegte km: 13,2
überwundene Höhenmeter: 440
höchster Punkt: 1558m – verirrt auf dem Weg vom Sattel
tiefster Punkt: 1197m – kurz vor Kehre 13 auf der Eggeralm Straße
Stunden unterwegs: 4

absolvierte Stages: 1
gefundene Geocaches: 3
davon T5: 0

Kosten: 56
davon Übernachtung: 28,-
Abendessen und 2x Kaffeejause: 26,50
Essen für Tiere: in der Übernachtung inkl.
Links

Fotos von heute
zur Unterkunftsbewertung
zum Rudi auf der Egger Alm
Route auf Komoot

Route

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2 Comments
  1. Antworten

    Astrid

    Mai 11, 2017

    Liebe Ania,

    So früh einen Blog von dir zu lesen ist ja echt überraschend – aber auch erfreulich. Du brauchst die Ruhe und Kraft 😊
    An dieser Stelle ein paar Gedanken meinerseits:
    1. Das mit den 2 Wasserhähnen kenne ich auch und lebe noch 😎
    2. Kerzen sind wunderschön, aber nicht für Leute die eh schon schlecht sehen – also für mich 😆
    3. Feuer ist wunderbar – wir Pfadis wisssen das 😀 und das aller Wichtigste:
    4. Genieße die Zeit mit deinen Lieben, sie wird dir Kraft geben für deinen weiteren Weg!

    Alles Liebe!
    Astrid

  2. Antworten

    Astrid

    Mai 11, 2017

    P.S.: wirre Gedanken sind relativ. Das sieht nur jemand so, der glaubt, dass wir Menschen alles unter Kontrolle haben – aber das wollen wir gar nicht. Wäre total langweilig. Dann suchten wir kein Abenteuer 😉
    Das Universum weiß was es tut 😊

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Höhe statt Ferne

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2017 war für mich das Jahr der weiten Wanderung – in 100 Tagen ging ich von Graz nach Monaco.

Als ich damals im Piemont am Monte Rosa vorbeigewandert bin, wusste ich … irgendwann werde ich diesen Gebirgszug nicht nur aus der Ferne betrachten. Aus “irgendwann” wurde “sehr bald” …

… und so habe ich 2018 meine Prioritäten anders gelegt und mich unter dem Motto “Höhe statt Ferne” kürzer, dafür höher nach oben orientiert und auf einer zweitägigen Tour meine ersten 4.000er Gipfel bestiegen und auf der höchsten Berghütte Europas übernachtet.

In meinem Tagebuch kannst Du über dieses besondere Erlebnis nachlesen.

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